Thema des 2016er IT-Gipfel in Saarbrücken wird einerseits das Schaulaufen der verschiedenen Digitalisierunsminister (Gabriel, Dobrindt usw.) sein. Andererseits ist aber auch zu erwarten, dass die IT-Branche selbstkritisch einen Blick auf die vergangenen Jahre wirft und dabei feststellen wird, dass der Produktivitätsvorsprung der deutschen Wirtschaft zunehmend in Gefahr gerät durch die Schwäche bei der Digitalisierung der Gesellschaft und Wirtschaft. Dies lässt zumindest das im Vorfeld publizierte IT-Manifest, u.a. von den festen Branchengrößen Kameramann und Scheer, erwarten, welches von der Regierung und der IT-Industrie eine nationale „Aufholfstrategie“ fordern, um im internationalen Wettbewerb nicht weiter zurückzufallen.
Verfolgt man abseits der größeren politischen Zusammenhänge die heutige – fast omnipräsente – Diskussion über die Digitalisierung im Unternehmen und die dazu bestmögliche Strategie und Vorgehensweise, lassen sich häufig zwei Denkrichtungen ausmachen: die erste suggeriert den Umworbenen, dass es fast gleichbedeutend oder zumindest zunächst ausreichend ist, wenn man sein Unternehmen/Projekt ins Internet bringt und eine Website erstellt. Die andere Denkrichtung hat teilweise verschwörerische Züge und offenbart ihre konkreten Maßnahmen und Ziele nur bedingt oder lässt sie ganz im Unklaren. Diese Argumentation findet sich meist bei großen IT-Firmen oder Beratungsunternehmen, welche damit auf Kundensuche gehen.
Einigkeit ist sicher darüber zu erzielen, dass Digitalisierung ein so genanntes Buzz-Word ist, also eine Worthülse mit nahezu ubiquitärer Einsatz- und Füllmöglichkeit. Dementsprechend gibt es wohl so viele Definitions- und Befüllungsansätze wie es Verwender gibt und eignet sich somit entsprechend gut in der Politikkommunikation und dem Marketing von Technikunternehmen.
Mit dieser profanen Einschätzung sollte es aber nicht seine Bewandtnis haben, denn Digitalisierung – nahezu unerheblich in welcher Ausprägung oder Verständnis – bezeichnet doch einen unverzichtbaren Kulturwandel in der heutigen Geschäftswelt, welcher die sinn- und wertschöpfungsstiftende Verbindung von technischen – zumeist IT-Anwendungen – Anwendungen mit wirtschaftlichen Prozessen und Geschäftsmodellen umschreibt. Dies ist wohl allgemeiner, unausgesprochener Konsens.
Basierend auf diesen allgemeinen Betrachtungen soll in diesem Kommentar der Blick auf die derzeit am erfolgversprechendsten und wesentlichen Ansätze für eine digitale Company geworfen werden:
- Fokus Geschäftsmodell
- Mensch-Maschine-Schnittstelle
- Standardisierung
- IT-Security
- Klare Nutzen und Wertschöpfungsbeiträge
- APIs und Plattform-Nutzung
Fokus Geschäftsmodell
Der Kern einer sinnvollen Digitalisierungsstrategie liegt sehr nahe an der eigentlichen Geschäftsstrategie. Digitalisierte Prozesse, Abläufe, Methoden, Infrastrukturen, Mindsets usw. sind weder Selbstzweck noch reine Mode, sondern erfüllen nahezu ausschließlich den Zweck das Geschäft effizienter und schlagkräftiger zu machen. Deshalb baut Digitalisierung regelmäßig auf die Geschäftsmodelle auf, ergänzt und erweitert sie und stürzt sich aber auch manchmal um bzw. ändert sie radikal. Ausgangspunkt, Evaluation und Optimierung von digitalen Maßnahmen zahlen deshalb auf das Geschäftsmodell ein und sind mit diesem unauflösbar verschränkt.
Somit ist Digitalisierung eben keine rein technische Aufgabe, welche federführend der IT oder dem Ingenieurwesen überlassen werden kann, sondern sie ist eine integrative Managementfunktion, welche idealerweise von querschnittlich qualifizierten Menschen gesteuert wird, welche bevorzugt keinen spezifisch technischen Hintergrund haben.
Fokus Mensch-Maschine-Schnittstelle
Die Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle hat in der digitalen Datenverarbeitung eine lange Tradition und erstreckt sich von anfangs einfachen mechanischen Zeigern, Lampen über Bildschirme, Tastaturen bis aktuell zu natürlicher Sprache, Gesten und Gedanken. Im üblichen Geschäftsalltag herrscht heute zumeist die Bedienung von PCs, Terminals und Smartphone mit ihren taktilen Eingabemöglichkeiten vor.
Bewertet man dieses vielfältige aber doch auch von Beharrungskräften durchsetzte Feld vor dem Hintergrund der Realisierung von Vorteilen durch Digitalisierungsbemühungen, wird schnell deutlich, dass die Vermeidung von diesen Schnittstellen im Vordergrund der weiteren Bemühungen stehen muss. So gibt es heute noch Prozesse in Institutionen, welche vordergründig bspw. eine moderne und vielschichtige Web-Site haben, aber auf dieser dann Formulare bereitstellen, welche separat heruntergeladen werden müssen und mit einem PDF-Editor oder gar händisch ausgefüllt und zurückgeschickt werden müssen! Die Bereitstellung von einfachen HTML-Formularen könnte hier schon viel helfen, die Integration in Backend-Systeme noch viel mehr.
An diesem kleinen, wenn leider auch häufigen Alltagsbeispiel wird exemplarisch deutlich, dass in vielen Fällen schon die aufmerksame Prüfung der Customer Journey erhebliche Potenziale bei der Verbesserung der digitalen Erfahrung des Nutzers hebt und mich vergleichsweise geringen Aufwand umzusetzen ist. Der Nutzen ist dabei ein Vielfaches, weil er direkt für den Nutzer ables- und spürbar wird. Gut digitalisierte Standardprozesse helfen ihm mehr, als aufwändig produzierte Backend-Prozesse oder APIs zu exotischen Diensten.
Die erste These für eine erfolgreiche Digitalisierung im Unternehmenskontext ist also, dass eine Fokussierung auf die Mensch-Maschinen-Schnittstellen entlang der Customer Journey einen hohen Digitalisierungsnutzen erzeugt.
Fokus Standardisierungen
Der Nutzen von Standardisierungen ist eigentlich ein No-Brainer. Spätestens seit dem Siegeszug der DIN und ISO-Normen und der Freisetzung von Investitionen im Software- und Hardware-Bereich der IT durch Standards ist deren segensreiche Wirkung evident. Die natürliche Gegenbewegung, die Ausbildung von Oligo- und Monopolen sowie Walled Gardens, ist auch in der Digitalwirtschaft hinlänglich bekannt. Vielleicht trägt auch die leichte Kopierbarkeit von IT-Innovationen durch deren systematisch bedingte Reproduzierbarkeit zu geringen Grenzkosten (Bsp. übernommener Software-Code kann beliebig neu verwendet und beliebig häufig neu verwertet werden) dazu bei, dass IT-Entrepreneure mitunter dazu neigen, ihre Innovationen abzuschotten. Sicher spielt auch die wirtschaftliche Verwertung von diesen eine bedeutende Rolle. In jüngerer Zeit werden die Geschäftsmodelle dabei so gestaltet, dass idealerweise ein eigenes Ökosystem entsteht, welche vertikal wie horizontal auf weitere Dienste erweitert werden kann und den Kunden möglichst von einer Abwanderung abhält. Populäre Beispiele sind hier Apple, Facebook, WhatsApp, Sony usw.
Besonders deutlich wird die Investitions- und Innovationsbremse der fehlenden Standards im Industrial Internet (Industrie 4.0), wenn sich die Maschinen eines Herstellers nur mit den weiteren Maschinen des selben Herstellers auf Anhieb verstehen. Integrationsanstrengungen, Hubs, Individualprogrammierungen etc. lähmen die Integration und erhöhen die Fehleranfälligkeit.
Die zweite These für eine praktikable und erfolgreiche Digitalisierungsstrategie ist also die Fokussierung auf und die Nutzung von möglichst offenen und verbreiteten Standards.
Fokus IT Security
Die Gewährleistung eines sicheren und integren IT-Betriebs ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Selbstverständlichkeit für akzeptierte digitale Dienste (intern wie extern). Auch ist sie an sich eine Selbstverständlichkeit. Und trotzdem wurde in jüngster Vergangenheit kaum ein anderes Thema so intensiv diskutiert und dabei mehr Verbesserungsansätze und Heterogenitäten offenbart als bei diesem Thema. Die Ansicht, dass ein Virenscanner wohl ausreichen müsste ist immer noch präsent und verdeutlicht die teilweise Naivität und nicht ausreichende Durchdringung dieses Themas.
Klar ist, dass Vertrauen die unverzichtbare Grundlage für jede Geschäftsbeziehung, für jede Servicedienstleistung, für jede Produktnutzung usw. ist. Dieser Hygienefaktor wird häufig als selbstverständlich angenommen und auch zumeist nicht aktiv gepflegt. Dabei ist der Auf- und Ausbau eines „Vertrauenskontos“ bei allen Stakeholdern eine Top-Management-Aufgabe und müsste bei jeder unternehmerischen Entscheidung. Die visionäre Haltung von Robert Bosch aus dem Jahre 1921 dass lieber Geld als Vertrauen zu verlieren sei, hat nach wie vor Gültigkeit und Berechtigung. Sie hat umso mehr Berechtigung in der heutigen, stark arbeitsteiligen, verteilten und zunehmend auf virtueller Zusammenarbeit basierenden Geschäftswelt. Der Hype um um die Blockchain spricht Bände.
Das dritte Postulat für eine erfolgreiche Digitalisierung ist die Gewährleistung einer inneren und äußeren IT-Security-Politik, welche sich auf maximale Transparenz und Offenheit sowie State-of-industry-Techniken beruft.
Fokus Nutzen- und Wertschöpfungsbeitrag
Vierte und letzte Quelle auf dem Weg zum digitalen Unternehmen ist die Fokussierung der Digitalisierungsanstrengungen auf die Punkte, welche tatsächlich einen relevanten Wertschöpfungsbeitrag bringen. Als „Infrastrukturinvestitionen“ getarnte Liebhabereien und Innovation um der Innovation willen führen zur Fehlallokation der Ressourcen und verprellen Mitarbeiter wie Kunden. Es muss klar sein, welche Dinge den qualitativen und quantitativen Nutzen mehren und in welchem Ausmaß – zumindest muss eine plausible Schätzung und/oder ein relevanter Zusammenhang mit den Geschäftszielen bestehen.
Damit ist nicht einem überschießenden Controlling das Wort geredet mit seinen Auswüchsen wie 5-Jahrespläne, „supergenaue“ Businesspläne etc., sondern vielmehr, dass die Verantwortlichen auch in die Verantwortung gehen und überprüfen wie darlegen, wie der Nutzen entstehen wird und welche Messkriterien sie anwenden. Ein gutes Herangehensbeispiel ist der selbshaftende Unternehmer, welcher unsichere Entscheidungen allein verantwortet, aber trotzdem sie durchzieht, wenn er von diesen überzeugt ist.
Da sich der Nutzen auch nachhaltig darstellen sollte, wäre die erforderliche Grundlage eine breit diskutierte und verankerte Strategie und Leitbild.
Fokus APIs und Plattform-Nutzung
Die Zeiten der Einhegung der Kundenaktivität und der Exklusivität des Kundenzugangs sind definitiv vorbei. Nutzen und Dienste sind heute meist bei einer Vielzahl von Anbietern schon vorhanden und müssen nicht neu aufgesetzt und gewartet werden. Das Teilen der Kundenadresse mit starken Partnern und auch Wettbewerbern („Co-epition“) bestimmt zunehmend den geschäftlichen Alltag. Der technische Schlüssel ist zumeist die Bereitstellung von APIs (z.B. REST-API), über die die jeweiligen Dienste Dritten verfügbar gemacht werden. Die Einbindung kann dann sowohl in die Frontend- wie Backend-Systeme erfolgen.
Das Prinzip des Teilens und smarten Nutzens von komplementären Diensten ist zwischenzeitlich schon zu einem eigenen Geschäftsmodell (z.B. Figo im Bankenbereich) geworden.
Trotz der lediglich anreißenden Darstellung hier, ist es sicher nicht zu hoch gegriffen, dass die Bereitstellung und Nutzung von APIs und passenden Plattformen zu einem wesentlichen Wachstumstreiber bei der Digitalisierung wird – wenn nicht schon ist.
Wie geht’s weiter?
Dieser kurzer Überblick über die derzeit spannendsten Ansätze zur Digitalisierung im Unternehmen ist naturgemäß der Anfang. Jedes Unternehmen muss für sich herausarbeiten, wo es seine Schwerpunkte setzt, welche Ressourcen es einbindet und was es von sich und dem Markt erwartet. Eine Diskussion, die Spaß macht und allen viel bringt – aber auch eine, welche ein Mindset und eine Offenheit für digitale Techniken voraussetzt und fördert.