Krankenversicherung per App – Oscar in USA und bald und Deutschland?

Nach einer gewissen Schockstarre und Stagnation im deutschen Krankenversicherungsmarkt (PKV) – ausgelöst durch die Niedrigzinspolitik der EZB, welche die Bildung von Altersrückstellungen erschwert und nach wie vor hohem Wettbewerbs- und Margendruck – gibt es nun Zeichen, dass die digitale Disruption tatsächlich zu marktgängigen Produkten im Versicherungsmarkt führen wird. Der Investor Dieter von Holtzbrinck hat sich den Diensten des Almeda-Gründers und Unternehmensberaters Roman Rittweger versichert, welcher im Frühjahr 2017 vermutlich einen Klon des erfolgreichen US-amerikanischen Krankenversicherers Oscar auf den Markt bringen will.

Dies ist einerseits bemerkenswert aufgrund der genannten schwierigen Rahmenbedingungen, aber andererseits auch nur konsequent und erfolgversprechend, weil der deutsche Krankenversicherungsmarkt bislang lediglich zaghafte Digitalisierungsversuche unternommen hat und ein wenig mit Auslandskrankenversicherung und Zusatzversicherungen experimentiert hat. Holtzbrinck möchte vollwertige Kranken- und Pflegeversicherungen anbieten: ein mutiges Novum im deutschen Markt.

Da sich die Startup-Betreiber  zugeknöpft geben, lohnt ein Blick über den großen Teich, um einen Eindruck über die Möglichkeiten und das Geschäftsmodell zu gewinnen.

Oscar – Krankenversicherung für Hipster oder PKV as a digital service

Der Anbieter Oscar bietet seine Krankenversicherung primär über die mobile App bzw. seinen Internet-Auftritt an. Zwischenvermittler, Makler oder sonstige Intermediäre sind außen vor. Das Prinzip der engen Betreuung und Kommunikation ist ein wesentliches Geschäftsprinzip und  differenziert Oscar von den übrigen amerikanischen Krankenversicherern, welche sehr wenig mit dem Kunden sprechen und wenig von ihm wissen. Oscar betreut seine Kunden überdies mit einem vierköpfigen Concierge-Team (u.a. Krankenpfleger, Ärzte) und ist eifrig dabei eigene Netze (bislang nutzte man vorhandene Behandlungsnetze, welche auch zu den hohen Anlaufkosten beitrugen) zur effizienten Behandlung aufzubauen.

Der Informationsvorsprung wird dazu genutzt auf einen Schlag einen Großteil der Verwaltungskosten zu egalisieren und die dadurch freien finanziellen Ressourcen für wertsteigernde Investitionen in innovative, digitale Service- und Produktgestaltung zu platzieren. Wie so häufig funktioniert dies nur, wenn der Kunde einen Teil der Wertschöpfungskette übernimmt, weshalb Oscar schon als „Die Krankenkasse für Hipster“ bezeichnet wurde, da Prozessschritte wie eine erste Selbstanamnese, Entscheidung über den richtigen Arzt, Zusendung eines Fotos von äußerlich sichtbaren Krankheitssymptomen (z.B. Schwellungen, Ausschlag etc.) nicht unbedingt jedermanns Sache sind und hierzulande auch traditionell an den Hausarzt, den Versicherungsvertreter oder sonstigen delegiert werden.

Die wesentlichen Prozessschritte des Antrages erklärt das Firmenvideo.

Der Beantragungsprozess ist verbalisiert in leicht verständlicher, kontextueller Sprache bei Oscar hat genau fünf Schritte

  1. Abfrage des Wohnortes über den ZIP-Code
  2. Festlegung der versicherten Personen
  3. Alter
  4. Haushaltseinkommen
  5. Anzahl der Personen im Haushalt

Danach hat man die Auswahl zwischen den einzelnen Leistungskategorien (Plänen):

  • Simple Plan
  • Simple Plan +
  • Classic Plan
  • Market Plan

Die Pläne fächern sich dann weiter auf in die branchenüblichen Preis-Differenzierungsfaktoren wie Selbstbehalt (fix und variabel), unterschiedliche Leistungen usw. auf. Bei jedem Plan ist eine 24/7-Hotline mit einem Doktor, Bonifikation bei nachgewiesenen Fitness-Aktivitäten i.H.v. 240 US-Dollar, Vorsorgeuntersuchungen und ein Misfits Flash Step Trecker enthalten.

Unterstützt wird der Antragsprozess durch übliche Omni-Channel-Tools wie Telefon, coBrowsing (Chat) und interaktive Hilfe bei der Plan-Auswahl.

Soweit ist der Prozess ähnlich auch bei deutschen Krankenversicherern zu finden; vielleicht nicht so graphisch elaboriert und auf das Wesentliche konzentriert, aber die harten Fakten sind zunächst relativ ähnlich.

Spannend wird es dann bei der Unterstützung des Versicherungsnehmers/der versicherten Person bei der Inanspruchnahme der Versicherung. Oscar verlässt sich auf moderne Technologien, u.a. ist die technologische Basis auf dem Amazon Cloud-Dienst AWS aufgebaut und vermeidet unnötige On-Premise-Installationen auch in diesem sensiblen Perimeter, und stellt seine App in den Mittelpunkt des Leistungsprozesses: über die App wird zunächst ein passender Doktor in der Nähe des Patienten gesucht, Kontakt zu diesem aufgebaut, die Kontaktaufnahme in einer Timeline historisiert und die Fitness-Daten aus dem Misfits Step Trecker aufgezeichnet. Patientensteuerung, Arztwahl, Antragstellung, Fitnessdaten – alles aus einer App-Hand. Das geht soweit, dass man äußerliche Symptome per Smartphone-Kamera aufnimmt und an den Doktor versendet. Der Kontakt zur Versicherung wird ebenfalls über App gehalten.

Mit diesem Serviceangebot wird auf elegante Weise eine Lenkungsfunktion zu Ärzten vorgenommen, welche das Vertrauen der Versicherung genießen. Die enge Verknüpfung erlaubt dann auch die Speicherung und den Abruf von ausgestellten Rezepten, Krankenhistorie, Labordaten, Diagnosen und die Terminübersicht über vergangene und künftige Arzttermine. Diese parallele Kostenreduktion- und Serviceerweiterung-Strategie wird gekrönt durch das Angebot von versicherungseigenen Experten.

Oscar versucht strategisch, durch das Serviceangebot, App und Dienste das Dreiecksverhältnis zwischen Versicherungsnehmer, Versicherer und Arzt zu fokussieren und es so wenig wie möglich „ausfransen“ zu lassen. Der Patient soll so gut wie gar nicht das vorgegebene Ökosystem des Versicherers verlassen und wird dazu mit einem vermutlich günstigen Monatsbeitrag und entgegenkommenden Serviceleistungen animiert. Als Payoff für den Versicherer fallen dabei Kostenreduktionen und Kundendaten zur weiteren Auswertung und Anpassung an.

Zwischenzeitlich entwickelt sich die Kundenbasis von Oscar und passierte im Dezember 2015 die 100.000 Kunden-Marke.

Dass die schnelle Skalierung auf sechsstellige Nutzerzahlen noch nicht unbedingt den wirtschaftlichen Erfolg mit sich bringt, zeigt die Bloomberg-Meldung, welche von einem Verlust von 105,2 Mio. USD in den Märkten in New York (52.800 Kunden) und New Jersey berichtet. Die Ursache soll zunächst die fundamentale Umgestaltung der Branche insgesamt durch die Umstellungen der Obamacare-Maßnahmen (Affordable Care Act; ACA) sein, obwohl Oscar letztlich durch Obamacare profitierte. Neue Dynamik traut man dem Unternehmen nach dem Wahlsieg von Donald Trump zu, da er – entgegen seiner Wahlaussagen – vielleicht doch nicht Obamacare abschaffen wird und der Bruder Jared von Trumps Schwiegersohn und Chefberater, Joshua Kushner, sowie der Trump-Unterstützt Peter Thiel beteiligt sind. Abschließend kann die wirtschaftliche Situation nicht ohne Weiteres vom Verfasser eingeschätzt werden, aber bei näherer Auseinandersetzung fällt dann doch auf, dass die Startup-üblichen hohen Anfangsinvestitionen wohl keine unbedeutende Rolle spielen. Der auf zwischenzeitlich 2,7 Mrd. USD geschätzte Versicherer versucht nun die Kosten bei seinen Markteintritten in Kalifornien und Texas besser in den Griff zu bekommen (145.000 Kunden), welche mit 10-20 Mio. USD beziffert werden.

Oscar - Where ist the Money Going? Bloomberg

Während der Anteil der Gesundheitskosten in Deutschland, der Schweiz, Japan oder Dänemark bei rund 10 bis 11 Prozent des Bruttosozialprodukts liegen, belaufen sie sich den USA auf 18 Prozent, welche von den Versicherern bezahlt werden müssen und dementsprechend Potenzial für effizientes Case-Management bieten.

Bislang wurden 720 Millionen Dollar in Oscar investiert. Bei der letzten Finanzierungrunde im Februar 2016 wurde das Unternehmen mit 2,7 Mrd. USD bewertet. Gleichwohl hat Oscar bislang keinen Gewinn erwirtschaftet.

Zwischenstand

Zuletzt im Dezember 2016 resümierte die Süddeutsche Zeitung ereut, dass Oscar sich zwar gut entwickle, über 135.000 Kunden zähle und durch die politischen Veränderungen auch gut Zukunftsaussichten habe, aber eben auch noch erhebliche Verluste schreibe. Die Investoren – u.a. Google, Peter Thiel, Joshua Kutcher, Fidelity Investments – halten derzeit trotzdem still, weil sie auf das Modell setzen. Denn das amerikanische Gesundheitssystem ist als teuer und ineffizient verschrien und hat dementsprechendes Synergiepotenzial auf das sie hoffen.

Adaption auf Deutschland

Zweifelsohne hat sich der Investor Holzbrinck mit Roman Rittweger einen Projektverantwortlichen und künftigen Vorstand an Bord geholt, welcher nicht nur theoretisches Beraterwissen vorzuweisen hat, sondern auch mit Almeda in der Praxis erfolgreich war. Die starke Stellung der gesetzlichen Krankenkassen, die rigiden Zugangsvoraussetzungen für private Vollversicherungen und die hohen regulatorischen Anforderungen in Deutschland versprechen aber einen ungleich steinigeren Weg als in den USA. Optimistisch stimmt aber der bisherige Mangel an Innovationen und die latente Unzufriedenheit der deutschen Versicherten mit privaten Krankenversicherungen, so dass sich der eine oder andere Hipster von dem neu neuen Angebot überzeugen lässt.

Versuche, die Versicherung in eine App zu transformieren, gab es ja bereits mit Appsichern, ERGO Direkt bzw. die Funktion eines Versicherungsmaklers im Netz darzustellen mit GetSafeKnip und weiteren, welche das Angebot zwischenzeitlich aufgegeben haben. Bislang waren die Erfolge übersichtlich und die Branche ist sich nicht klar über einen gemeinsamen oder jeweils getrennten Wegen zu einem digitalen Geschäftsmodell. Bislang ist schon das Angebot eines elektronischen Briefkastens oder eines Portalzuganges das Höchste der Gefühle in der Versicherungs-Digitalisierung – die Branche tut sich noch schwer. Einzelne, wie die Generali (Vitality und Smart Insurance), haben sich aber bereits die Digitalisierung auf das Panier geschrieben. Man darf also gespannt bleiben, wie das neue Angebot dann aussehen wird und vom Markt angenommen wird und ob es der Branche Impulse mitgeben kann?

Anfang 2016, hat sich der Nebel gelüftet und die Gründung der OttoNova AG in München setzt nun eine Adaption der betreuenden Krankenversicherung in Deutschland um.

Ob OttoNova so etwas wie bloße Kopie von Oscar Health sein wird ist noch nicht klar, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich. Dafür sind die Unterschiede des amerikanischen und des deutschen PKV-Marktes zu groß. So sieht sich die PKV in Deutschland traditionell nur als Ergänzung und Anbieter für bestimmte Berufs- und Bevölkerungsgruppen. Wahrscheinlich dürfte jedoch die Übernahme des Case- und Qualitätsmanagements sein, da hier die deutschen privaten Versicherer einen Nachteil gegenüber der gesetzlichen Konkurrenz (GKV) haben und OttoNova dies somit als Differenzierungsfaktor nutzen dürfte.

Im März 2017 wurde bekannt, dass in einer weiteren – für Startups üblichen – Finanzierungsrunde weitere Investoren (neben Holtzbrinck Ventures und Vorwerk Ventures nun Tegelmann Ventures, B-to-V und STS Ventures) gewonnen werden konnten, welche neue Millionen in die Kasse spülen. Besonders die Gewährleistung der branchennotwendigen Altersrückstellungen dürfte bei dem aktuellen Zinsumfeld zur Herausforderung werden. Ottonova möchte dies mit seinen aktuell 45 Mitarbeiter mit einer niedrigen Kostenquote begegnen. Insbesondere an den Vertriebskosten soll gespart werden. Normalerweise sind 10 Monatsbeiträge für den Vertrieb üblich. Ottonova möchte darauf verzichten und ausschließlich über elektronische Kanäle bewerben und vertreiben; aber die auch Geld. Am 21. Juni 2017 soll es endlich so weit sein. Dann auch mit 10-Million-Kapitalspritze vom bisherigen Marktführer DeBeKa.

Der Marktstart von Ottonova am 21. Juni verlief zwar etwas holprig, weil zunächst der wichtige Beitragsrechner fehlte, aber insgesamt mutet der Auftritt durchdacht und gefällig an. Anders als beim vermeintlichen Vorbild gibt es nur zwei Tarife mit relativ hohen Selbstbehalten und Prämien. Wie überzeugend das die neuen Kunden finden, wird sicher sehr interessant.

Quellen und weiterführende Info

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