Eine kontinuierlich wichtiger werdende Vertriebsform in digitalen Kontexten ist das Konzept des Freemium. Die Kombination eines zunächst frei („free“) abgegebenen (Basis-)Services oder Produktes mit der anschließenden optionalen oder obligatorischen Vermarktung („premium“) beschreibt die Wortschöpfung „Freemium“.
Besondere Popularität gewann diese Vertriebsstrategie in den verschiedenen App-Stores der Anbieter von Mobilgeräten und Mobilbetriebssystemen; im Kern ist sie aber schon älter und weist viele Parallelen und Herkunftsmerkmale mit Abonnenments und Lizenz-/Serviceverträgen auf, welche die Kundschaft mit geringen Eintrittsbarrieren oder kostenfreien Anfangsgaben von sich überzeugen wollen.
Vorteil für Unternehmen wie Konsumenten/Firmen ist dabei klar die einfache Möglichkeit den Service im Realbetrieb zu testen und vielfach mit den Basisfunktionalitäten zufrieden zu sein. Er entscheidet frei, ob er die fortführenden Premium-Funktionalitäten nutzen möchte.
Insofern könnte man die kürzlich bekannt gewordene Absicht von Microsoft Windows 10 zunächst kostenfrei an Privatanwender auch als als Besinnen auf diese erfolgreichen Vertriebsstrategien betrachten.
Windows 7, 8.1 und Phone 8.1 sollen nach Plänen von Microsoft kostenlos im ersten Jahr sein. Für Privatanwender auch dauerhaft. Die Lizenz gilt dabei pro Gerät für dessen gesamte Lebenszeit. Höherwertige Lizenzen (z.B. Enterprise) sind davon nicht betroffen.
Das Vorhaben von Microsoft ist dabei weniger eine autarke Entscheidung als vielmehr ein Reagieren auf den aktuellen Taktgeber im Silicon Valley, Apple, welche seit einiger Zeit sein Betriebssystem verschenkt. Obwohl Apple nicht als Wohltäter bekannt ist, ist das Modell von Microsoft jedoch offener auf die wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit fokussiert indem es vorsieht, zusätzliche Funktionen offenbar separat zu bepreisen und höhenwertige Lizenzen von der Kostenfreiheit auszunehmen. Die Intentionen dürften nach wie vor im Verkauf von kostenpflichtig Abonnements liegen. Office365, Software Assurance bieten die Remonder bereits länger an und werden konsequent ausgebaut.
Neben der Monetarisierung ist sicher auch die Penetration und die Verbreitung in der Nutzerschaft ein Ziel dieser Strategie, da sie geeignet ist, die Eintrittsbarrieren in neue Technologien und Dienstleistungen zu senken und die Lust am Ausprobieren von bspw. Windows Phone unterstützt.
Abseits den Aktivitäten von Microsoft lohnt sich aber der Blick auf die grundsätzliche Funktionsweise des Freemiums-Modells als Vertriebsstrategie. Kern der Strategie ist die Überwindung der ersten Barriere beim potenziellen Kunden durch die Herabsenkung bzw. Entfall des Kaufpreises. Der Kunde erhält dann ein i.d.R. gut ausgestattetes Produkt bzw. eine Dienstleistung, welche für einen einen hohen oder absolut befriedigenden Nutzen hat und die Gewissheit, dass er dies mit – dann kostenpflichtigen Ergänzungen – sogar noch erweitern kann, wenn er selbst, ohne äußere Einflüsse, die Notwendigkeit dazu sieht. Er verkennt in der Regel, dass die gezielten Funktionseinschränkungen meist an den meist nicht unwichtigen Stellen gesetzt sind (bspw. bei der Druckmöglichkeit) oder dass die Erweiterungen mit überzeugend klingenden Nutzen aufwarten: keine Werbeeinblendung, weitere Features, Offline-Nutzung etc.
Der intrinische (Werbe-)Druck von Freemium-Produkten entfaltet dann durchaus ein signifikantes Überzeugungspotenzial und führt dann zu kostenpflichtigen Zusatzkäufen. Diese können umso kostenintensiver werden, je stärker man sich an das Produkt gewöhnt und seine (betriebliche) Infrastruktur oder Lebensgewohnheit man darauf abgestellt hat. Hat man bspw. in einer schön gestalteten Datenbankanwendung seine LP-Sammlung vollständig katalogisiert und benötigt nun genau die eine Zusatzfunktion, ist diese – verglichen mit dem eigentlichen Design- und Herstellungsaufwand – nur sehr teuer zu erwerben.
Mit dieser Mechanik verdient sich die anfängliche Vorleistung des Freemium-Herstellers zurück. In wie vielen Fällen dies notwendig ist, um insgesamt ein tragfähiges Geschäftsmodell zu gewährleisten ist natürlich sehr individuell von den Selbstkosten und der angestrebten Marge abhängig. Sie loyalisiert jedenfalls Kunden nachhaltig und zuverlässig, soweit der erwartete Nutzen des Freemiums-Einstiegsproduktes überzeugend und wettbewerbsdurchsetzungsfähig ist.
Die Analysten des Marktforschers Soomla haben in ihrem Mobile Gaming Insights Report Q1 2016 bspw. herausgearbeitet, dass Spieler auf Mobilgeräten virtuelle Güter über In-App-Käufe sechs mal häufiger ein zweites Mal diese kaufen. Zudem kaufen sie ebenfalls sechsmal häufiger in anderen Spielen. Weiterhin ist ein so genannter Halo-Effekt feststellbar, nach dem Käufer von virtuellen Gütern zu 13 % auch Käufern in anderen Spielen werden. Einer weiteren Studie zufolge gaben Kunden für In-App-Käufe im Google Playstore für Android-Freemium-Produkte 76 Euro im Jahr 2015 aus; Apple-Kunden dürften noch höher liegen. Der Freemium-Ansatz in Spielen, realisiert über In-App-Käufe, funktioniert somit sehr gut, soweit das Spiel an sich überzeugt. Eine unkritische Übertragung dieser Erkenntnisse durch die Gaming- und Gamblin-Branche in Form der Maxime „Rabatt bringt Käufer“ in Form von Gratis-Tipps schlägt jedoch fehl, weil es beim Spielerlebnis (=Gewinn) oder an der Koppelung mit kostenpflichtigen Kauf mangelt.
Kreative Einsatzmöglichkeit bei öffentlichen Vergaben
Ein weiterer Aspekt des Vertriebsmodells Freemium ist dessen Potenzial mit den europäischen Vergaberichtlinien kreativ zu arbeiten. Bei öffentlichen wie prinzipiell auch bei unternehmerischen Vergaben steht zumeist der Preis im Vordergrund. Häufig werden 50 oder 60 Prozent der ausschlaggebenden Vergabekriterien dem Preiskriterium zugeordnet. Das bedeutet, dass eine entsprechende günstige Preisstellung leicht Unzulänglichkeiten in der Qualität oder Infrastruktur kompensiert bzw. überkompensiert. Freemium-Angebote hätten in dieser Hinsicht einen herausragenden Vorteil, da ihre Monetarisierung nicht auf die Wirtschaftlichkeit Erzielung eines möglichst optimalen Zuschlagpreises ausgerichtet ist, sondern diese nachgelagert erfolgt. Auch wäre es dem Auftraggeber im Regelfall nicht möglich, diese nachgelagerte Kostensituation wirksam in der Vergabe auszuschließen bzw. kann er nur eingeschränkt in einer Zeitreihenbetrachtung darauf Rücksicht nehmen. Das letzte Argument ist auf den ersten Blick zunächst nicht eingängig, da es durchaus möglich und üblich ist, die Kosten einer Vergabe in einem Zeitraum vom Bieter abzufragen. Im Falle des Freemium versagt diese vermeintliche bürokratische Intelligenz jedoch, da der Freemium-Bieter die Funktionswahl grundsätzlich dem Kunden offen lässt.
Auch wäre es denkbar, dass Vergaberecht in anderer Form auszuhöhlen, indem seitens des Auftraggebers und dessen Vergabeinstitution vorgetragen wird, dass für die kostenfreie Beschaffung von bspw. einer Software keine Vergabe erforderlich sei, da eben keine Kosten (zumindest keine Anschaffungskosten für die Lizenz) anfielen; Kosten für evtl. erforderliche Service-Leistungen etc. wären dann als normale Vergabe zu betrachten. Ob diese Sichtweise durchträgt und Bestand bei Vergabekammern und Revisionen hat, bleibt abzuwarten und ist fraglich, ist aber nicht unrealistisch. Zumindest ist im Regelfall von einer wirtschaftlich orientierten Beschaffung auszugehen, wenn das Freemium-Produkt die gestellten Erwartungen vollauf erfüllt. Die Feature-Falle ist dann aber schon gestellt.
Beispiele für Freemium-Angebote sind bspw. Spotify, verschiedne Apps, Microsoft, Skype u.a. Aber auch Mobilitätsdienstleister wie Mercedes-Benz denken über eine Integration dieser Vertriebsform nach und diskutieren diese mit Ihren Kunden. Link zum Forum „Kostenlose Mobilität für jedermann – mercedes.me“
9. März 2015
Update 4/2015: Freemium als Vertriebsmodell ist nun auch für den niederländischen Navigationshersteller TomTom ein Mittel im härter werdenden Navigationsmarkt. Er bietet die Bezahlung seiner Android-App (Go App) von einem Bezahlmodell auf Freemium um. Die ersten 75 Kilometer sind dabei für den Orientierung Suchenden frei, danach können Upgrade bspw. für ein oder drei Jahre erworben werden.
Update 11/2015: Die Durchsetzungsfähigkeit des Vertriebsmodells Freemium wird durch den Kauf des Candy-Crush-Herstellers King durch den bislang mit traditionellen Geschäftsmodellen operierenden Activision Blizzard unter Beweis gestellt.