Performative Social Commerce

Die Vernetzungsmöglichkeiten des Internets haben den Drang der Menschen zur (übertriebenen) Präsentation der eigenen Person auf ein neues, von den Vätern des Internets wohl nicht erwartetes, Niveau gebracht. Schon das erste Video auf Youtube diente zur Selbstdarstellung und die Vielzahl der heute dort auffindbaren Videos ebenfalls. Auch auf den anderen Plattformen wie Facebook, Snapchat, Instagram, Twitter usw. geht es primär darum, selbst erstellten und ego-zentrischen Inhalt für sich und Dritte leicht bereitzustellen. Die Vorlieben nuancieren mal von einfachen Textbeiträgen, über Bilder bis zu Videos und Live-Informationen.

Deren Verhalten und Beiträge werden als performative Ökonomie bezeichnet. Antrieb der Autoren ist, wie so häufig im menschlichen Sozialverhalten, der Wunsch nach Belohnung. Die Honorierung ihrer Leistung erfolgt dabei konkret durch Aufmerksamkeit in Form von Likes, Abonnenten, Klickraten, Pressenennungen, Interview; generell also soziale Belohnung durch performativen Erfolg. Wesentlicher Bestandteil ist die Inszenierung der Person, weil Leistung alleine nicht mehr ausreicht. In welcher Form der Erfolg der performativen Selbstvermarktung stattfindet, ist dabei fast willkürlich: Casting-Shows, Aufmerksamkeit in sozialen Medien, Beachtung von sozialem Engagement usw. befriedigen und können gleichzeitig auftreten oder ausgewechselt werden. Die Bewertungskriterien des Erfolgs werden von der sozialen Peer-Group und dem Medium festgelegt und folgen keinem klassischen Erfolgskriterienmuster. Die Forschung kritisiert u.a. daran, dass durch diese Unsicherheit hinsichtlich der Erfolgskriterien eine überstarke Abhängigkeit von diesen Märkten und ihren – ungeschriebenen – entsteht, welche „den performativen Individualismus abschließend als Zustand von existentieller Unsicherheit“ verursacht.

Diese nüchterne Einschätzung vorangestellt stellt sich grundsätzlich die Frage, wie die Gesellschaft mit diesen Inhalten umgehen soll? Abseits der Nutzung gemäß dem originären Verwendungszweck durch die einfache Konsumation und Beachtung stellt sich für den gesellschaftlichen Teilbereich der Wirtschaft speziell die Frage, ob sie diesen Teil der sozialen Kommunikation für ihre Vermarktungszwecke nutzen soll und kann? Nun, diese Frage ist zwischenzeitlich beantwortet: die Wirtschaft nutzt und unterstützt die Akteure der sozialen Medien bei ihrem ego-zentrischen Kampf um Aufmerksamkeit und Relevanz. In der praktischen Anwendung hat sich der Begriff „Influencer Marketing“ etabliert.

Merkmal der performativen Ökonomie aus Unternehmenssicht ist also der Einkauf eines Mediaäquivalenzwertes bei akzeptierten Vertretern der anvisierten Zielgruppe. Dies ist zunächst auch kein anderes Vorgehen als bei den bislang genutzten Kommunikationsinstrumenten wie Werbung, PR etc. Vorteil der gezielten Nutzung von Protagonisten des Social Media ist der Einkauf von echten/vermeintlichen Vertrauen, Akzeptanz und Relevanz, den diese Testimonials in ihren Zielgruppen genießen. Zumeist haben diese ohne kommerziellen Hintergedanken angefangen ihre Botschaften zu propagieren, um sich die erhoffte Aufmerksamkeit zu verschaffen. Im Zuge des Wirkungskreises Botschaft-Reaktion-Bestätigung-Botschaft haben sie Reputation und Relevanz und Umfang (thematisch wie quantitativ) kontinuierlich ausgebaut. Durch das Internet können Einzelne ihre Reichweite auf ein Maß steigern, was vorher nie möglich war.

Es gibt aber auch Gegenbewegung, welche aktiv sich gegen die Allways-On-Kultur Position beziehen und die sozial negativen Konsequenzen in Kauf nehmen. Auch gibt es negative Effekte und Gefahren, für Social-Media-Blogger, insbesondere für Minderjährige, welche ebenso zu benennen sind.

Wie kann nun der Werbetreibende den persistenten Trend nach Selbstvermarktung nutzen und das Media-Portfolio erweitern? Welche Mechanismen sind dabei am Werk und was ist zu beachten?

AnerkennungGruppenzugehörigkeitRelevanter ContentVerweigerung tradierter MedienHow-to-VideosPreisgabe intimer Informationen
Streben nach Anerkennung/Belohnung und sozialer Relevanz (insbesondere in der Peer-Group)
Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppen mit Relevanz und Bezug zum eigenen Umfeld
Streben nach Anerkennung/Belohnung und sozialer Relevanz (insbesondere in der Peer-Group)
Nicht-Nutzung von klassischen Broadcast-Medien (TV, Hörfunk)
How-To-Videos (z.B. Schminkvideos, DIY), politische und soziale Themen (z.B. Interview von Le Floid mit Kanzlerin Merkel), Lets Play-Videos (kommentierte Computerspiele wie bspw. von PewDiePie)
Younow – Streaming Plattform für Live-Selbstpublikationen. Streaming des Kinderzimmeralltags.

Influencer Marketing – Umsetzung und konkrete Beispiele der Unterstützung von Marken durch Social-Media-Autoren

Obwohl es auch vorkommt, dass man einzelne Botschafter für seine Marke/Produkt wie Darsteller in Spots buchen kann, haben die Influencer durchaus den Wert ihrer Reputation im Blick und sind – auch sicher ihren Anfängen geschuldet – nicht bereit, jedes Produkt im Rahmen ihres Auftritts zu behandeln. Deshalb hat sich als häufig gangbarer Weg in der Praxis herausgebildet, dass die Klärung der grundsätzlichen Bereitschaft über eine Agentur gesteuert wird (z.B. Reach Hero). Möchte ein Unternehmen nun einen passenden Influencer finden, muss das Unternehmen zunächst die Rahmenbedingungen und die Inhalte der Kampagne festlegen. Diese Anfrage wird den Social-Media-Aktueren gezeigt und diese können ihr Interesse dazu äußern oder auch nicht. Dabei machen sie auch Vorschläge, wie konkret die Bewerbung erfolgen kann. Die Angebote enthalten dann zumeist konkrete Daten über den dazugehörigen Kanal des Influencers wie bspw. Reichweite, demographische Merkmale und die Location. Abschließend trifft das Unternehmen aus den Angeboten die Auswahl.

Wichtig bei der Auswahl ist die Verteilung der Geldströme in den Augen zu behalten. So ist es wichtig zu wissen, ob der Influencer Geld an die Agentur zahlen muss, ob es Kickbacks von den Portalen gibt usw. Transparenz und Kenntnis über finanzielle Abhängigkeiten sind wichtige Beurteilungskriterien bei der Auswahl und Entscheidung über Social-Media-Engagements.

Der Statistikanbieter Statista bietet einen Überblick über die aktuelle Beliebtheit der Social Media-Anbeiter. Statistik: Welche Social Media Plattform ist für Ihr Unternehmen am wichtigsten?

Gefahren

  • Ausnutzung durch Kriminelle (Pädophile, Stalker, Einbrecher etc.) insbesondere bei minderjährigen Bloggern
  • Speicherung und spätere Konfrontation von potenziell kompromittierenden Inhalten
  • Ablenkung von regelmäßigen Aufgaben
  • Ausgrenzung in Peer-Group bei Nichtnutzung
  • Überregulierung durch Erziehungsberechtigte mit nachfolgender Entfremdung und Entzug der Vertrauensbasis
  • Suchtverhalten (Verhaltenssucht) oder zumindest missbräuchliche Nutzung
  • Urheberrechtsverletzungen und Verletzung des Rechtes am eigenen Bild (bei Darstellung von Inhalten und Personen ohne schriftliche Einwilligung für und von diesen)
  • Überbordende Transparenz der persönlichen Internet-Nutzung (z.B. durch Facebook-Tracking-Cookie)
  • Hate Speech und Falschmeldungen über Unternehmen
  • Willkürliche Änderung der Geschäftsgrundlagen (Bsp. Let’s Play-Video-Star PewDiePie kündigte seinen Rückzug von Youtube an, weil dies verantwortlich für den Rückgang von Klickten und Abonnenten sei und Suchalgorithmen zum Nachteil der Let’s Play-Videos verändert habe)

Fame-Fabriken

Die Entwicklung des Influencer-Marketings konsequent weitergedacht, wird mit dem zunehmenden Auftreten von so genannten Fame-Fabriken zu rechnen sein. Dabei handelt es sich im weiter gefassten Sinne um Marketing-Agenturen, welche Influcener als Angestellte oder provisionsbasiert („Gig-Economy“) anstellen und gezielt für Produkte werben lassen. Meist werden dabei die „Arbeitsräume“, z.B. im Look eines typischen Jugendzimmers,  und die Technik bereitgestellt. Influenzier senden dann über mehrere Channel und werden in Echtzeit hinsichtlich Anwesenheit, User-Zahlen, Verkäufe etc. überwacht. Eine direkte Erfolgskontrolle ist somit möglich und gewünscht. Derzeit sind diese Fame-Fabriken in China zu beobachten, aber ein Einsatz in weiteren Ländern ist – bei entsprechender Größe des Marktes – absehbar.

Diese Erscheinungsform der performativen Ökonomie treibt ihr grundlegendes Prinzip auf die Spitze und überdreht es vermutlich damit auch. Auch kann und muss man vermutlich auch dieses Format als konsequente Weiterentwicklung des Home Shoppings ansehen.

Regulatorik

Soweit die Sendungen keinen besonderen Rahmen überschreiten, dürften sie in Deutschland im Regelfall frei produzier- und verbreitbar sein.  Es könnte bei regelmäßiger Sendung an eine potenziell große Gruppe sich auch um eine erlaubnispflichtige Rundfunkveranstaltung handeln, für die im Internet eine unbefristete Zulassung zur Veranstaltung von Rundfunk gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 RStV erforderlich sein. Dafür sind eine Reihe von Merkmalen relevant:

  • Live-Sendungen
  • Linearer Inforamtions- und Kommunikationsdienst = Rundfunk
  • Adressiert an Allgemeinheit
  • Zeitgleicher Empfang
  • Bewegtbild oder Ton
  • Programm anhand eines Sendeplans
  • Interaktionsmöglichkeiten
  • Kostenfreiheit
  • mehr als 500 potenzielle Nutzer
  • journalistise Inhalte

Zuständig für die Erlaubniserteilung und die Einschätzung, ob es sich tatsächlich um ein Rundfunkangebot handelt, sind die 14 Landesmedienanstalten. Dort muss im Zweifelsfalle formlos ein Antrag auf Erlaubnis gestellt werden, für den Gebühren von 1.000 bis 10.000 Euro anfallen. Ob es sich bei dem Sendungsangebot um ein Rundfunkangebot im Sinne des Gesetzgebers handelt, bestimmt sich dann nach dem Rundfunkstaatsvertrag, dem jeweiligen Landesmediengesetz, dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und dem Bundeszentralregistergesetz.

Der föderalistische Behördenmarathon könnte künftig noch ergänzt werden durch die im Mai 2016 im Neuentwurf veröffentlichte „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD)“ welche zunächst weitgehende Liberalisisierung für Werbetreibende im Privatrundfunks vorsieht, aber auch den juristischen Rundfunk-Begriff auf nicht-lineare Inhalte erweitert. Damit ist eine Ausdehnung der Erlaubnispflicht auf eine Reihe von Internet-Angeboten zu erwarten.

Die Landesmedienanstalten geben im Rahmen ihrer Aufgabe als Werbeaufsicht einen Flyer heraus, welcher sich mit den regulatorischen Anforderungen bei Social Media-Werbung/Influencer-Marketing auseinandersetzt.

Strategien

Strategien im Rahmen des Media-Mixes

Soll das performative Ökonomie/Influencer Marketing aktiv als Teil des bestehenden Marketing-Mixes genutzt werden, ist es auch nach dessen Kriterien zu konzipieren und zu messen. Zielgruppenauswahl, Einflüsse mit anderen Kommunikationsmaßnahmen, Buchung, inhaltliche Aussagen, Budgeting, Erfolgsmessung usw. sind wie bei allen Maßnahmen zu behandeln. Der Vorlauf und der konkrete Einfluss auf Gestaltung und Inhalt wird aber bei Maßnahmen mit Präsentation durch das Testimonial abweichend zu Werbeschaltungen (Banner etc.) in sozialen Medien abweichen, da die konkrete Werbeleistung letztlich von den Influencern weitesgehend selbstbestimmt erfolgt. Im Ergebnis ist eine konkrete Abstimmung – im Rahmen der Mediaplanung – der Influencer-Maßnahmen bzw. der Social-Media-Massnahmen erforderlich und handwerklich korrekt zu lösen. Gezielte Seeding-Maßnahmen können dabei den Einsatz von Testimonials ersetzen und virale Marketing-Maßnahmen besser umsetzen, auch wenn der eigentliche Content selbst nicht stark genug ist.

Strategien im Rahmen der PR- und Presse-Arbeit

Herausfordernder wird der Umgang mit unternehmensbezogenen Botschaften von Akteuren der performativen Ökonomie wenn das Unternehmen auf diese reagieren muss; passiv damit umgehen muss. Äußert sich ein Protagonist in einem Blog negativ oder ambivalent über Produkte und Dienstleistungen kann man natürlich die alte Weisheit beherzigen, dass eine Reaktion eher der ursprünglichen Nachricht eine unberechtigte, höhere Bedeutung zumisst und diese sogar befeuert. Die Hoffnung auf ein „Versenden“ der Nachricht wäre dann also die Handlungsstrategie. Man kann – und muss in angebrachten Fällen – aber auch reaktiv umgehen. Die kritische Auseinandersetzung, Schaffung von Transparenz und die Würdigung der kritischen Meinung ist Handlungsmaxime. Instrumente dafür können sein: Online-Redaktion, Abstimmung mit Agentur, Kontaktpflege zu Journalisten, Gegendarstellungen, Gegenprovokation, Newsroom usw.

Aber auch aktiv können Influencer und performative Selbstdarsteller für begleitende Maßnahmen in PR und Presse-Arbeit genutzt werden. Instrumente können die Bereitstellung von Produktinformationen, Hintergrundberichten, Einladung zu Messen und Produktshows, Bereitstellung von Testgeräten usw. sein.

Die Einsatzbereiche, Maßnahmen sind vielfältig und sind vernetzt und bedingt zueinander. Die Steuerung und Planung im Rahmen eines strategischen Mediaplanes (vielleicht auch mit Begleitung einer guten, transparenten Media-Agentur/Werbeagentur) empfiehlt sich.

Zusammenfassung

Die performative Ökonomie hat sich im Social Media-Verhalten der Gesellschaft manifestiert. Menschen aller Altersstufen, aber insbesondere junge Menschen und auch Minderjährige publizieren Media-Inhalte über ihr Leben und Dinge, welche sie interessieren. Eine Seite dieser Selbstveröffentlichung ist der gesellschaftliche Umgang mit diesen sensiblen Informationen und eine weitere ist die wirtschaftliche Nutzung im Rahmen des Influencer-Marketings. Dieses hat zwischenzeitlich Eingang in den Media-Mix der Unternehmen gefunden. Die Einsatzmöglichkeiten dabei sind vielfältig. Gezielte Ansprache ohne Streuverluste, das Auffinden von sonst verlorenen Zielgruppen und gute Controlling-Möglichkeiten sind wesentliche Vorteile dabei.

Quellen und weiterführende Informationen

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